Bloody woods ...

Eine verstürmte Nacht irgendwo in der Peripherie des Seins. Ein fernes Gewitter sorgt mit seinem raschen Blitzen für schwach dämmriges Licht. Selbiges offenbart hier und da schemenhaft die Umrisse eines grotesk anmutenden Waldes. Kahle Bäume mit dürren, spitzen Ästen, welche wie skeletierte Finger anmuten, die in stummen Schrei der Schmerzen gen Himmel gereckt werden. Astlöcher, die so verzerrt sind, dass sie den Gesichter Leidender ähneln. Borken die scheinen, als seien sie wettergegerbte und leidgeprüfte Haut. Kein Blatt trägt der Wind, während er lautstark zwischen den knorrigen Stämmen hindurchpfeifft. Einem Wehklagen gleich summt die Luft ein grausiges Lied. Am Himmel lassen die regengeschwängerten Sturmwolken kaum ein Licht des Mondes durch. Und doch scheint der gespenstische Wald unwirtlich erhellt. Der Betrachter erfährt eine Fahrt durch den Schauderwald. Hindurch zwischen den Lerchen des Leids, den Eichen der Trauer und den Weiden der Wut. Vorbei an moosbewachsenen Felsen und pilzbefallenen Stümpfen. Hin zu einem massigen Findling, welcher von weiteren entstellten Bäumen umringt ist. Das schwindende Licht umspielt keck die Silhouette des majestätischen Felsens. Seine Oberfläche ist von einstigen Gezeiten glattgeschliffen und kein Makel haftet ihm an. Es scheint, als stünde die Zeit still, während man all das betrachtet. Dann wird der Findling wie von einer titanischen Hand getroffen und er explodiert ihn hunderte faustgroßer Stücke. Staub wirbelt auf, Schrapnelle aus Gestein sirren umher und graben sich tief in die trockene Rinde der nahen Bäumen. Hier und da quillt Harz zäh hervor, dem Blut von Riesen gleich. Die schmerzverzerrten Visagen der Pflanzen wirken umso gequälter. Als sich der Staub, der Rauch und die Verwirrung legt, harrt dort, wo einst der mächtige Findling stand, eine schwere Eisenkugel aus. An ihrem oberen Ende befindet sich eine feiste Eisenkette, die in dem Kranausläufer eines Baggerfahrzeugs endet. Hinter dieser tonnenschweren Kugel tritt ein Mann von ebensolch zerstörerischer Kraft hervor. Der amtierende Ultraviolent-Champion. Der Urban Predator, Kevin Thorn. Wie schon so oft sieht man ihn im schwerbeschlagenen Mantel und mit einem wölfischen Grinsen bewaffnet. Im matten Licht der fernen Blitze muten seine Züge ungleich animalischer an. Es wirkt als wäre er halb Mann, halb Wolf. Ein Donner ertönt. Und dies scheint ein Zeichen für den Hünen zu sein, sich dem Betrachter zu widmen. Doch sein Blick wandert herab. Hinab zu einem Opfer der Steintrümmer. Ein zartes Blümlein, zerquetscht von einem Stück Stein. Fast mitleidig wandert Thorns linke Hand über die Reste grünen Matches, die einst eine optische Zierde waren.

Kevin Thorn: "So schnell kann es kommen. Was just noch friedliche Glückseeligkeit und harmonische Eintracht war, ist nun Chaos, Perversion, Zerstörung. Was just der Inbegriff des Friedens war, ist nun ein Opfer des Krieges. Und wie so vieles ist das Leben ein Vorbild für den Kampf, den wir Gladiatoren der Moderne zur Erheiterung des Volkes austragen. Wie dereinst in Rom, im mächtigen Colosseum, so fechten wir heute ohne Waffe zur Freude der Besucher. Unbill zieht sich der Geschlagene zu, während der Sieger gefeiert wird. Huldigung ist das Streben, auf das wir all unsere Aufmerksamkeit richten. Rache - die persönliche Vendetta ist eine Antriebskraft, wie das Pferd oder der Dampf. Der Drachen ist ein Sinnbild für derlei kopfloses Gedankengut. Seine Beweggründe mögen vordergründig die Lust am Kampfe selbst sein, doch letztlich ist es nichts mehr als die Sucht nach persönlicher Genugtuung. Wiederherstellung der eigenen Ehre. Nachdem ich ihn in jedem unterer Tjostengänge buchstäblich aus dem Sattel warf, will er nun selbst einmal den tödlichen Stich landen. Der Preis des Ruhms soll obendrein das unsägliche Gold sein, daß ich mir heuer um die Hüften schnalle. Doch weit gefehlt, Drachen. Der Preis des Ruhms ist ein ganz anderer. Denn der Griff nach den Sternen hat auch einen faden Beigeschmack. Es ist wie die Medaille, die seit jeher zwei Seiten hat. Wenn Du auf Kosten aller mit aller Macht versuchst, Deine Ziele zu verwirklichen, wirst Du letztlich daran zu Grunde grehen. Actio et reactio. So sprachen schon die alten Gelehrten. Im sinnungslosen Rausch der Rache, reisst Du unbemerkt nieder, was Dir lieb und teuer ist. Allianzen zerbrachen jeher daran. Familien wurden entzweit. Pakte gebrochen. Du willst Beispiele? Nimm mich, den Inbegriff Deines Hasses. Im rasenden Siegestaumel, euphorisch und berauschend, habe ich mir selbst genommen, was mir eigentlich das Liebste war. Nicht Hüftschmuck oder Anerkennung, sondern das wenige, was mir stets das nächste war. Doch Du wirst mir keinen Glauben schenken. Du bist rasend vor Zorn. Dein Blick verschließt sich für das Essentielle. Ich kenne es nur zu gut. Doch es wird Dein Untergang sein - so wie es fast der Meine war. Verstärke Dich ruhig auf Deinen Gedanken nach Rache, doch ich werde der lachende Dritte sein. Ungeachet Deiner Art, Deiner Gefühle und Wünsche - ich gehe den Weg des Jägers. Kein Jäger jagt den Jäger."

Der bullige Hüne schleicht um den geborstenen Felsen herum. Seine schweren Stiefel lassen ihn tief in den fast morastigen Boden sinken. Schmatzend protestiert der Untergrund bei jedem Schritt. Unweit des Zentrums der Zerstörung geht der Meister der neuen Brood in die Hocke. Seine fingerlosen Handschuhe verdecken zwar Teile der Hände, aber die Finger wandern zielstrebig über die geborstenen Reste des Findlings. Man erkennt Teile einer eingemeißelten Schrift. Fast wirkt es, als wäre der mächtige Fels einst ein Wegweiser gewesen. Der Zeigefinger von Thorns Linken fährt duch die kratzigen Krater des Steins. Erforschend, erkundend und annähernd sentimental. Fast, als trauere er um das Kunstwerk der Natur, welches er zerstört hat. Zerstört wie so viele Gegner im Ring. Wie so viele Träume von aufstrebenden oder gestandenen Athleten. Zerstört wie so viele Hoffnungen auf Ruhm, Reichtum und Macht. Die Körperhaltung des Urban Predator erinnert unwillkürlich an Vampiro. Und auch die ungewollte Romantik, die durch die fast fürsorglich zu nennende Liebkosung seitens Thorn mit dem Findling entsteht. Der sonst so brachiale, so gewalttägige, ja so schlägerhafte Mann ist in das Licht des Mondes gebadet, der sich langsam durch die regenschweren Wolken kämpft. Silberne Ziernieten funkeln schmückend, tanzen beinahe keck. Die Hand des aktuellen Ultraviolent-Champions ruht nach wie vor auf dem Steinsplitter. Noch immer ist Schweigen die einzige Sprache, die hier vorherrscht. Kevin Thorn, der Leid- und Plagenbringer der UPW, im trauten Einklang mit der Natur, wenn da nicht die Zerstörung und die entstellende Eisenkugel wäre. Langsam, unsagbar langsam erhebt sich der Quell allen Übels der aufstrebenden Wrestling-Promotion. Im Schein des Mondes bekommen seine Augen einen funkelnden, bernsteinfarbenen Hauch. Der Hüne bleckt die Zähne.

Kevin Thorn: "Anmutig ist er einst gewesen, jener Findling. In seinem Schatten spielten sicher Kinder. Des nächtens suchten ihn Pärchen auf, um sich in seinem Schutz zu lieben. Tagsüber war er vielleicht ein Richtsweise für Wanderer und fahrendes Volk. Nun ist er Schutt, Asche, Geröll. Seine Trümmerteile liegen wie Eingeweide lustig drapiert herum. Von dem einst majestätischen Stück ist nicht mehr geblieben als Staub. Und warum? Warum mag man sich fragen. Wegen der dem tonnenschweren Stück Stahl dort? Weil jemand einen Hebel bei der Abrißmaschine tätigte? Ich sage: Mitnichten. Es gibt nur einen Grund, warum dieser Fels geborsten ist. Nur einen Grund, warum wir seine Trümmer hier liegen sehen. Weil seine Zeit gekommen war. Und umso besser symbolisiert dieses Geröllfeld hier, den heurigen Zustand eben jener Liga, die wir Unlimited Pure Wrestling nennen. Seit sich der Joker selbst zum höchsten König gekrönt hat - unterstützt durch eine Vielzahl von Lakaien, seit sich ein alberner Geck mit fremdländischen Sprachfehler die Krone des Grafen, genannt Unlimited-X-Title erschlichen hat ... seit all das nicht mehr mir gehört ... herrscht Chaos, Zwietracht, Verwirrung und Wirren. Wie wird meine Antwort darauf lauten? Warum sollte ich es ändern? Aus demselben Grund, warum ich auf den Resten des Findlings stehe ... weil IHRE Zeit gekommen ist. So schnell wie sie sich auf die Beute in Form von Trophäen und Gold gestürzt haben ... so schnell werde ich sie ihnen wieder entreissen. Wenn wir auf den Alten Kontinent ziehen, verteidige ich, was ich noch halte. Wenn wir den Kontinent verlassen, werde ich mich wieder auf die Jagd machen. Die Jagd auf alles, was sich zu Unrecht krönt. Die Jagd auf alles, was schwach ist. Und dieses Mal jage ich nicht allein. Ich habe Bluthund und Henker in einer Person an meiner Seite. Ich habe ein Monster, dass Seelen frisst. Und bald wird meine Armee noch größer. Unsere Jagd wird nie enden. Unsere Gier endet nie. Unser Verlangen endet nie. Unser Durst endet nie. Wir sind der Schrecken alles Schwachen. Wir sind die New Brood ... wir sind die Apokalypse ... wir sind die Jäger."

Der Hüne verstummt erneut. Blitze zucken über seinem Haupt, als sich das ferne Gewitter nun unweit des Szenario-Platzes entläde. Schwere Regentropfen fallen nieder und tauchen das verstörrend schöne Wäldchen in ein Feuchtbiotop. Der von Näße schon aufgedunsene Boden erfährt neuen Wasserzuwachs und schon binnen weniger Augenblicke schwellen kleinere Pfützen zu Seeflächen an. Der Urban Predator breitet die Arme aus und legt den Kopf in den Nacken. Sein Haar wird von Wasser durchtränkt, sein Mantel durch den Regen dunkel und finster. Dann blendet die Szene aus.


~ fade out ~

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